In meiner Heimatstadt gibt es aktuell mal wieder einen Bunker zu kaufen und für einen kurzen Moment war ich echt geneigt, den Verkäufer anzurufen und einen Besichtigungstermin zu vereinbaren. Nein, nein, ich denke nicht ernsthaft darüber nach, mir als neue Bleibe einen grauen Betonklotz zuzulegen. Schon aus dem Grunde nicht, da sich noch niemand die Mühe gemacht hat, so etwas wie Fensteröffnungen in die über einen Meter dicken Betonwände zu feilen. Es war eher so etwas wie gruselige Neugierde, die in mir schwelte.
Aus meinen Kindertagen kenne ich noch den Anblick von Bunkern – diesen Mahnmalen vergangener Kriege, Zeitzeugen erlittenen Leids und Elends. Einer dieser grauen Klötze lag in der Nähe unseres Hauses. Und ich weiß noch genau, wie wir manchmal dort hingingen. Ich kann mich noch an das Gefühl erinnern, dieses beklemmende Drücken im Magen, diese Faszination gepaart mit der Angst vor dem Bösen. Denn Bunker waren böse – so kam es mir damals jedenfalls vor.
Wir schlichen durch das den Bunker umgebende Dickicht wild wachsender Sträucher und es gruselte mich ganz fürchterlich. Die steinernen Wände ragten scheinbar bis in den Himmel und hier und da waren sogar Einschläge von Granaten oder so zu sehen. Einige von ihnen waren so tief, dass verbogene Eisenstangen hervor lugten und es schien so, als ob sie den Stein mit ihren rostigen Tränen durchtränkten.
Der Eingang selbst war nur ein viereckiges Loch im Beton, dunkel und düster und mit einer schweren Eisengittertür gegen das unbefugte Betreten gesichert. Wenn man dicht vor dem Gitter stand umfing einen ein eisiger Hauch, man fröstelte selbst bei sommerlichen Temperaturen. Und die Kälte, die einem entgegenschlug roch feucht nach Moder und Verfall.
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In Gedanken…
… ein Schauer durchlief meinen Körper und ich wich einige Schritte von der großen Eisengittertür zurück. Das Licht hatte sich verändert. Es war nun nicht mehr heller Sonnenschein, der wärmend meine Haut umschmeichelte – das Licht war blass geworden, Kälte kroch an meinen Beinen empor. Das strahlende Blau des Himmels war einem tristen Grau gewichen. Dunkle Wolken quollen wie im Zeitraffer scheints aus dem Nichts hervor, rotteten sich zusammen, bildeten eine einzige bedrohliche, dunkle Front.
In der Ferne hörte ich Sirenen aufheulen. Sie zerschnitten die Stille wie scharfe Säbel. Laut und drängend riefen sie zur Eile, sangen ihr hässliches Lied von Angriff und Untergang, von Tod und Verderben.
Im Geiste hörte ich in der Ferne Menschen rufen, das leise Wimmern von Kindern. Ich hörte hektische Schritte, die immer näher kamen, knirschend über steinige Wege eilten. Ich wandte meinen Blick wieder dem Bunker zu. Die eben noch vom Sonnenlicht hell erleuchteten Wände ragten nun dunkel und bedrohlich in den fast nachtschwarzen Himmel. Die große Eisengittertür war geöffnet. Das schwache Licht einer kahlen Glühbirne kroch über die nackten Betonwände im Inneren… schaffte es kaum, den steinerenden Boden zu erreichen. Das Dickicht vor dem Bunker war einem staubigen Platz gewichen.
Die Schritte kamen näher, eilten, hasteten, liefen. Stimmengewirr, hier und da ein leises Wimmern oder ein Rufen.
Das Geheul der Sirenen schwoll wieder an. Erhob sich zu einem einzigen langen Schrei – lauft, lauft schneller, lauft! Dann sah ich sie. Menschen, immer mehr Menschen. Angst und Schrecken zeichnete ihre Gesichter, Panik trieb sie zur Eile. Ich starrte sie an, starrte in ihre weit aufgerissenen Augen, starrte auf ihre Kleider. Sie sahen aus, wie in einem alten Film, farblos und trist. Manche trugen kleine abgewetzte Koffer, andere ausgebeulte Taschen. Die meisten jedoch kamen nur mit dem, was sie am Leibe trugen.
Die ersten hatten mich erreicht – liefen an mir vorbei – liefen durch mich hindurch. Sie liefen dem schwachen Licht der Zuflucht entgegen, eilten getrieben von der Hoffnung von Sicherheit und Überleben in den steinernen Koloss.
Ein dumpfes Dröhnen war nun schwach in weiter Ferne zu hören, mischte sich mit dem Aufheulen der Sirenen, kam näher. Nun rannten die Menschen in nackter Panik. Das Dröhnen wurde lauter – der hässliche Gesang todbringender, eiserner Vögel am fast nachtschwarzen Himmel.
Der Strom der schutzsuchenden Menschen ebbte ab. In einiger Entfernung sah ich eine junge Frau – ein Baby an sich gedrückt, ein kleines Mädchen neben ihr, seine Hand fest umklammert.
Das Dröhnen der eisernen Vögel wurde immer lauter, kam näher. Die Frau lief so schnell sie konnte, zerrte das kleine Mädchen hinter sich her. Es stolperte, rappelte sich auf, lief weiter. Flakgeschosse peitschten im hässlichen Stakkato durch die Dunkelheit – mischten sich mit dumpfen Einschlägen der Bomben. Ich konnte das Dröhnen der eisernen Vögel nun spüren – sie konnten nicht mehr weit sein.
Jemand schrie der Frau entgegen, sie solle sich beeilen. Wieder spie die Flak eine Salve in den Himmel, es folgte ein hässliches lautes Kreischen wie von einem abrupt bremsenden Güterzug… gefolgt von einem lauten Heulen. Einen Augenblick später überflutete mich das Getöse eines krachenden Aufschlags, paarte sich mit dem Knall einer Explosion und der Himmel erhellte sich für einen Moment.
Nur noch wenige Meter trennten die Frau und ihre Kinder vom Bunker. Dann waren sie an mir vorbei. Ich sah ihnen nach, sah, wie sie in das fahle Licht stolperten, sah, wie sich das kleine Mädchen umdrehte… und mich anstarrte…
Nun schwoll das Dröhnen der Flugzeuge, das Krachen der Einschläge, das Heulen der Sirenen und der Lärm der Flak zu einer einzigen ohrenbetäubenden Kakophonie des Krieges an. Ich starrte wie benommen in den dunklen Himmel… dann sah ich sie… die todbringenden, eisernen Vögel… gleich, gleich sind sie da…
Jemand knufft mir in die Rippen: „Komm, lass uns gehen…!“
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Epilog: Ich habe meinen Großvater nie kennengelernt. Sie haben ihn 7.000 elendliche Kilometer durch diesen beschissenen Krieg geschickt… Er ist verschollen, irgendwo in der Nähe von Minsk, Mittelrussland, 1944.
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Du hattest keinen Bunker, in dem Du Dich in Sicherheit bringen konntest… x
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„Gefällt mir“ passt eigentlich nicht so recht hier … eher „Beeindruckend“ oder so, aber ich habe den Knopf trotzdem gedrückt.
Mein Vater ist junger Mann lebendig aus diesem besch… Krieg nach Hause gekommen, aber sicher nicht so, wie er hineingeschickt wurde …
…es muss ganz furchtbar schrecklich gewesen sein, was sie erlebt haben. Ich glaube, ganz viele haben das Erlebte irgendwo ganz tief in ihrer Seele vergraben – unfähig darüber zu sprechen. Und ja, es hat sie bestimmt verändert…
Danke für´s Knopfdrücken.
Ein ähnlicher Film läuft auch vor meinen inneren Augen ab, wenn ich die Gedenkstätte und Bunkeranlagen am Obersalzberg besuche. Als hätte sich die Angst und das Grauen der Menschen förmlich in den Fels, in den Beton hinein gebrannt, um dann in unseren Köpfen wieder lebendig zu werden… Und uns zu mahnen: Macht so was nie wieder!!!
Das ist ein interessanter Gedanke, dass sich das Leid und die Angst der Menschen in den Stein gebrannt hat… irgendsoetwas muss es sein, denn mir wird immer ganz mulmig, wenn ich diesen Mahnmalen gegenüberstehe.
Danke für Deine Gedanken.
Ich hab gerade Gänsehaut und einen dicken Kloß im Hals. Rabea, auch wenn das ein ganz beklemmender Text ist, so hast du da etwas wunderbares aus Worten erschaffen, so dicht ist die Stimmung. Vielen Dank für’s Aufschreiben und dass du uns daran teilhaben lässt.
Ich war vor Jahren mal in Dänemark in einer Gegend, in der viele Bunker am feinsandigen Strand standen. Ich konnte damals gar nicht dicht an die herangehen und sie mir genauer ansehen, ich bin nur immer so schnell wie möglich daran vorbei und habe dann nur auf’s Meer geblickt, nie in Richtung der Bunker. Und das ist mir damals nicht mal so genau aufgefallen, erst hinterher als ich zB merkte, dass ich keinen einzigen davon fotografiert hatte (wo ich doch sonst fast alles fotografiere).
Ich glaube, es war damals speziell dieser Kontrast von Weite und Freiheit, die das Meer für mich symbolisieren zu den schrecklichen Dingen, die die Bunker symbolisierten und die ich damals nicht aushalten konnte.
Gern geschehen… auch wenn ich Dir keine Gänsehaut bereiten wollte.
Obwohl ich lange Zeit in Schleswig-Holstein gewohnt habe, bin ich nie bis nach Dänemark gekommen – mir war nicht bewusst, dass die so viele Bunker haben. Interessant, dass Du die Bunker unbewusst, irgendwie gemieden hast.
Es gibt ja hierzulande etliche Bunker, die zu Wohnzwecken umgebaut wurden – ich glaube, ich könnte da nicht wohnen und mich wohlfühlen – irgendwie gruselig, die Vorstellung. Wobei ganz viele Menschen damals wahrscheinlich froh waren, in einem Bunker Zuflucht zu finden – aber sie stehen halt für Krieg und Elend und daher sind sie mir suspekt… irgendwie…oder auch unheimlich.
Ich hab auch mal „gefällt mir“ gedrückt. Mein deutscher Opa kam zwar aus Russland zurück. Allerdings sehr verändert. SEHR. Ich glaube, das hat auch zu seinem frühen Tod geführt…
Danke für´s Drücken…
Damals hat sich wohl noch niemand darum gekümmert, dass Kriegserlebnisse traumatisierend sein können – wahrscheinlich sogar immer sind. Und man hat die Menschen mit ihren Erlebnissen allein gelassen – heute geht man damit (hoffenltich) anders um. Mal davon abgesehen, dass Kriege eh murks sind.
In Gedanken ein Kerzlein anzündent für Deinen Opa…
Rabea
So sieht’s wohl aus. Früher mussten die Menschen mit den Kriegserlebnissen alleine klar kommen. Heute gibt es schon psychologische Betreuung. Zumindest bei den US-Streitkräften. Allerdings, ob das immer so hilft ist das Andere…
Danke.