Der nachfolgende Text ist frei erfunden – eine Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen wäre rein zufällig und nicht gewollt…
Seit Perry Hotter haben es die Autoren des Landes offensichtlich schwer. Denn scheinbar werden sie schon vor dem Veröffentlichen ihres Erstlingswerkes vom Verlag per Vertrag dazu verdonnert, mind. 2 – 5 Nachfolgebände zu vorbestimmten Zeiten abzuliefern. Der Leser will ja schließlich unterhalten werden – und das möglichst lange. Der Autor freut sich wie Bolle, klatscht im Geiste in die Hände, unterschreibt den Vertrag und geht zufrieden mit sich und der Welt nach Hause.
Doch während sein Erstling die Essenz jahrelangem Strebens nach Perfektion ist, erwartet nunmehr der Verlag den Nachfolger binnen 12 Monaten.
Nun hat der Autor ein Problem. Die Geschichte muss irgendwie weitergehen. Womöglich hat er das schon beim Schreiben des ersten Manuskripts in Betracht gezogen und die Story darauf ausgelegt – womöglich aber auch nicht. So stellt sich ihm die große Frage: Wie soll es weitergehen? Und wurden beim ersten Manuskript die Story und die Protagonisten per Feinjustierung genau aufeinander abgestimmt und die Antagonisten passend gewählt, stimmten Charaktere und Handlungen, Orte und Begebenheiten so sehr, dass am Ende ein lesenswertes, wenn nicht sogar brillantes Manuskript dabei herauskam. Wie soll man das noch toppen? Und vor allem: wie soll man das in der kurzen Zeit toppen?
Hatte der Autor gefühlte Ewigkeiten, um sein Erstling aus der Wiege zu heben, steht nun ein Termin fest, an dem der Nachfolger abgearbeitet sein muss. Plötzlich kann der Autor nicht mehr nächtelang an einem einzigen Dialog feilen, auf dass sich die Worte flüssig lesen, interessant klingen und den Leser fesseln, ohne das dieser merkt, wie viel Herzblut, Fleiß, Mühe und Zeit allein in diesen wenigen Zeilen stecken…
Auch kann der Autor nicht mehr Tage damit zubringen, passende Formulierungen für die einfachsten Dinge des Lebens zu finden, auf dass sie nicht langweilig und abgedroschen klingen. Er kann sich auch nicht mehr Ewigkeiten damit aufhalten, stimmige Metaphern zu finden oder an den Formulierungen so lange zu feilen, bis sie perfekt sind… so perfekt, dass sie dem Leser den Angstschweiß auf die Stirn treiben, und er der jungen Frau zurufen will: „Hey, geh da nicht rein, lass das, nicht da reingehen, hörst du mich, geh – da – nicht – rein!!! Doch die junge Frau kann den Leser nicht hören. Leider. Statt dessen sieht er, wie sie vor der Tür steht… er spürt ihr Zögern… er sieht, wie sich entschlossen aufrichtet… hört das leise Knacken der Klinke…
Doch nun geht es darum, die Geschichte überhaupt erst einmal irgendwie auf die Beine zu stellen und schließlich zu einem Ende zu bringen. Einem Ende, das die nächste Fortsetzung schon berücksichtigt. Und nun steht dem Autor der Angstschweiß auf der Stirn. Die Leichtigkeit des Schreibens ist dahin. Die Verliebtheit in das Geschriebene und die Story verflogen. Es ist nicht mehr das Schreiben um des Schreibens Willen – nun ist es bloße Pflichterfüllung.
Dann sind endlich die ersten Kapitel zu Papier gebracht und in ihnen schwingt noch ein wenig die Brillanz des Erstlings mit. Dem Autor gelingt es, auch den Nichtleser des Erstlings abzuholen, damit der dem 2. Werk folgen kann. Man spürt als Leser noch die Begeisterung des Autors zum vorherigen Plott, denn sie schwingt zwischen den Zeilen noch mit.
Doch dann muss sich der Autor gänzlich dem neuen Manuskript, sprich der neuen Story widmen – und die Zeit läuft ihm davon. Die verbleibenden Monate sind womöglich schon an zwei Händen abzuzählen – Druck baut sich auf – Leistungsdruck. Und vor allem die Protagonisten bekommen diesen zu spüren. Ihre Charaktere werden nicht mehr so fein gezeichnet, der Pinsel ist gröber und die Hand, die ihn führt, ist fahrig.
Draußen färben sich schon die Blätter und die Sonne zeigt sich nun nicht mehr täglich von ihrer schönsten Seite. Zwei Kapitel sind im Grunde totaler Murks, aber sie sind wenigstens geschrieben. Der Autor weiß ja, dass er auch im nächsten Jahr noch an der Story arbeiten muss und darum martert er sich sein Hirn, wie es weitergehen könnte, und wie er die Weiterführung schon jetzt berücksichtigt.
Die Tage werden immer kürzer und die aufsteigenden Nebel da draußen immer undurchdringlicher… so undurchdringlich, wie der Gedankenwust im Hirn des Autors. Irgendwie schafft er es dann tatsächlich, die Story zum Ende zu bringen. Einem Ende, dass Fragen offen lässt. Und er schwört sich diese im Nachfolger zu beantworten… und er schwört sich wieder besser zu sein, viel besser. Er weiß, dass er es besser kann.
Der Verlag nickt zufrieden ob dem termingerecht eingereichten Manuskript. Die Lektoren schlagen die Hände über dem Kopf zusammen… und retten, was zu retten ist.
Der Autor macht erst einmal Urlaub oder besäuft sich vier Wochen am Stück. Und da Alkohol fälschlicherweise als Lösemittel für allerlei Probleme, Ängste und Sorgen angesehen wird, statt dessen korrekterweise als Lösemittel für allerlei Stoffe verwendet wird, löst das promillehaltige Zeug nicht die Probleme, Ängste und Sorgen des Autors, sondern eher den Stoff für das nächste Manuskript in Wohlgefallen auf.
Nach den durchzechten Wochen besinnt sich der Autor darauf, dass er auch am Ende der nunmehr nur noch 11 Monate währenden Zeitspanne ein Werk abzuliefern hat. So räumt er seine Bude auf, lässt die gläsernen Zeitzeugen im Altglascontainer verschwinden, lüftet drei Tage und stöpselt den Anrufbeantworter wieder ein.
Dann richtet er seinen Lieblingsschreibplatz in gewohnter Weise her… ordnet Papier und Bleistift, oder Laptop, Computer, Monitor und Maus – oder womit er halt zu schreiben pflegt – und beginnt mir seiner Arbeit. D.h. er würde gern beginnen. Doch er findet den Anfang nicht. Tage vergehen ohne ein sinnvolles, geschriebenes Wort. In diesen Tagen sucht der Autor verzweifelt nach dem Grund, warum im plötzlich so rein gar nichts einfällt. Er richtet immer wieder auf ´s Neue alle ihn umgebenden Utensilien aus. Rückt sogar die Stehlampe zentimeterweise von links nach rechts…
Der Autor ist sich sicher, dass ihn irgend etwas an seinem Lieblingsschreibplatz stört. Darum zieht er für drei Tage mit seinem ganzen Krempel in die Küche um… vergebens. Er packt wieder zusammen und schleppt alles dahin zurück, wo er es hergeholt hat. Der Autor ist sich sicher, nirgends anders auf der Welt schreiben zu können, als an seinem Lieblingsschreibplatz. Und er ist sich sicher, dass ihn irgend etwas an diesem Platz stört… irgend etwas ist anders… irgend… etwas… Womöglich ist es die vor sich hinwelkende Topfpflanze auf der Fensterbank. Sein Blick klebt an ihr wie ein Kaugummi unter dem Schuh. Dann springt er auf, nimmt das verdorrte Ding und stellt es auf den verschneiten Balkon. Wieder zurück sitzt er an seinem Lieblingsschreibplatz… atmet tief durch… greift zum Stift oder der Tastatur… und… und nichts passiert.
Sein Blick wandert durch den Raum… bleibt wie magisch angezogen am nunmehr leeren Blumentopf hängen. Der Autor steht auf, geht hinüber zum Fenster, betrachtet den leeren Blumentopf. Schuldgefühle überkommen ihn. Er hat sie sterben lassen. Während er hochprozentige Flüssigkeiten in rauhen Mengen in sich hinein schüttete, hat er die Pflanze währenddessen jämmerlich verdursten lassen… sie ist gestorben… seinetwegen.
Er setzt sich wieder. Starrt auf´s Papier oder den Monitor… starrt zum Fenster… Durch das Fehlen der großen Pflanze hat sich das Licht im Raum verändert. Der Autor ist sich jetzt sicher, dass er nie wieder eine Zeile wird schreiben können – nie wieder! Er verfällt in stundenlange Lethargie, scannt im Geiste die Vorräte, ob sich noch irgendwo eine Flasche Hochprozentiges versteckt hat – verwirft den Gedanken, sich zu betrinken… starrt auf den leeren Blumentopf. Nun ist sich der Autor sicher, dass die Leere im Blumentopf für die Leere in seinem Hirn steht… und für einen Moment fühlt er seine tiefe Verbundenheit mit dem Porzellanding auf der Fensterbank.
Dann ist sich der Autor sicher, dass die Leere in seinem Hirn erst wieder verschwindet, wenn die Leere im Blumentopf verschwunden ist. Doch mittlerweile ist es Abend geworden – die Blumenläden geschlossen. Frustriert geht er ins Wohnzimmer nebenan, bestellt sich ´ne Pizza und zwei Flaschen Wein. Satt und betrunken schläft er auf der Couch ein und seine letzten dämmerigen Gedanken hängen der verlorenen Blume nach, und er sinniert darüber eine neue zu kaufen… gleich morgen…
Aber auch das nach stundenlangem Suchen am nächsten Vormittag herbeigeschaffte Pendant zur verdorrten Zimmerpflanze kann die Leerte im Hirn des Autors nicht füllen… Tage und Wochen vergehen, ohne eine einzige, sinnvolle Seite geschrieben zu haben.
Der Verlag ruft an und erkundigt sich nach dem Voranschreiten des neuen Manuskriptes. Der Autor lügt zur Not – Wunderbar.
Die Tulpen sind schon lange verblüht, der Hase hat seine Eier verteilt und noch immer keine Story. Statt dessen hat sich der Autor mit seinem Protagonisten zerstritten. Weil dieser ihm immer wieder in die Quere kommt, wenn er glaubt nun endlich zu wissen, wie es weitergehen soll. Irgendwann geht es dem Autor so sehr auf den Keks, dass er den Protagonisten bestrafen will. Der Held der vorangegangenen Bücher – er soll leiden, er soll dafür bezahlen, dass nichts mehr läuft. Wahlweise wird er nun im neuen Manuskript mind. 20 Jahre älter sein, an einem völlig anderen Ort zurecht kommen müssen oder seine Gesinnung und Charakter so ändern, dass ihn die Leser hassen werden.
Und der Autor schwört dem Protagonisten, dass er am Ende sterben wird. Denn der Autor hat schon lange keine Lust mehr auf ihn. Er geht ihm auf die Nerven, er langweilt ihn – er hat ihn einfach über.
Nun hat der Autor seine Motivation wieder gefunden: Er muss dieses Manuskript schreiben, um endlich mit dieser Story aufhören zu können. So schreibt er sich seinen Frust von der Seele. Der Protagonist trägt schwer daran. Er weiß, dass er nicht mehr lange leben wird. Er fügt sich seinem Schicksal und dankt auf der letzten Seite des Manuskripts ab. Dem Autor fällt ein Stein vom Herzen. Endlich. Endlich ist es vollbracht. Nach all den vielen Jahren hat er den Kerl endlich sterben lassen. Er hat ihn vor den Augen aller im wahrsten Sinne des Wortes in der Luft zerfetzt – nie wird es eine Fortsetzung geben.
Wehmütig huscht der Gedanke an dem Autor vorüber, wie stolz er noch bei seinem Erstling war… wie er heimlich in die Buchläden ging und sein Werk in den Auslagen suchte. Er erinnert sich an das Gefühl, als ein Mann nach seinem Buch griff, es betrachtete, den Klappentext las und… nein, er legte es nicht zurück.. er ging mit seinem Buch zur Kasse…. Dieser empfundene Stolz, diese ihn durchflutende Euphorie… dieses Gefühl von Größe und Wichtigkeit…
Alles verflogen…
Epilog:
Wenn ich „Fortsetzungswerke“ lese oder als Hörbuch höre, kommt es mir zuweilen so vor, als wäre es genau so gewesen…
Sehr gut beobachtet und geschrieben. Da hast du wohl gute Quellen gehabt ;)
Problematisch ist es dort, wo man eigentlich ein komplettes Werk geschrieben hatte und dann plötzlich eine Fortsetzung kommen soll. Wie bringt man das wieder in einen geschlossenen Kreislauf ein?
Da haben es die leichter, deren Werke schon auf mögliche Fortsetzungen ausgelegt wurden.
Nun, ich kenne Leute, die schreiben – bisher alle ohne die Krönung einen Verlag gefunden zu haben… manchmal schreibe ich auch selber… Und ich bin mir sicher, dass es mir genau so ergehen würde… also, zumindest ohne den hochprozentigen Kram :)
Die Beobachtung und Eindrücke kommen sicher nicht von ungefähr. Eine stimmige und nachvollziehbare Einschätzung wie ich finde. *clap-clap*