Ich schaue nur sehr selten fern. Doch letztens habe ich es mir mal wieder angetan und bin bei einer Sendung hängengeblieben, in der Makler versuchen die Wohnträume ihrer Kunden zu erfüllen. Meine Güte, dachte ich, was die Leute heutzutage so alles interessiert?!
Insgeheim warte ich nun auf die Sendung, die den Leuten nicht nur eine passende Bleibe vermittelt, sondern sich in der Fortsetzung gleich auch noch um die Sanierung kümmert. Es gab doch auch schon Fernsehsendungen, die sich nur mit der Renovierung irgendwelcher Hütten beschäftigt haben. Oder? Meine finanzielle Lage lässt mir nämlich nicht besonders viel Spielraum. Ich bin Alleinverdienerin und Alleinerzieherin. Und ich habe weder vor, an dem Einen etwas zu ändern oder das Andere in Frage zu stellen. Alleinerziehender Alleinverdiener. Kurz gesagt, ich bin der letzte glückliche Single – aber das nur am Rande erwähnt.
Wie dem auch sei. Jedenfalls kann ich es mir nicht leisten eine Hütte jenseits von 100.000 Euronen zu kaufen. Genaueres dazu wird mir noch mein Banker erzählen, mit dem ich noch 2 Tage vor Weihnachten einen Termin vereinbart habe.
Vorerst gehe ich mal von meiner Milchmädchenrechnung aus. Diese gründet hauptsächlich auf den „Wieviel Immobilie kann ich mir leisten?“-Rechner einer Bank. Nach diesem Rechner müssen sich meine Wohnträume sehr bescheiden ausnehmen, um nicht Gefahr zu laufen, dass ich mich finanziell ruiniere.
Offensichtlich aber gibt es für den Betrag, der mir der schlaue Rechner ermittelt hat, weit und breit kein Haus – zumindest keines, über das ich ernsthaft nachdenken wollte. Außer vielleicht der Individualistenhütte für 79.000 Euronen. Diese verfügt, laut Exposé des dazugehörigen Maklers, über gute Grundmauern und eine solide Dacheindeckung. Alles was sich dazwischen befindet muss saniert werden. Der freundliche Makler hat mir davon abgeraten, das Haus zu kaufen. Es ist, wie er mir versicherte, nur etwas für einen gestandenen Handwerker. Denn wenn ich nicht die komplette Sanierung selbst ausführe, also in Eigenleistung, dann würden geschätzte 45.000 Euronen nochmals zum Kaufpreis hinzukommen. Rechne, rechne, dann wären es 124.000 Euronen plus die Kosten für den Kauf (ca. 10% vom Kaufpreis). Also nochmals ca. 8.000 Euronen dazu, macht schlappe 132.000 Euronen. Und nicht zu vergessen, dass während des Umbaus noch doppelte „Wohnkosten“ gerechnet werden müssen – macht um und bei 2 Tsd. Euronen. Ergibt 134.000 Euronen. Letztlich wird die Straße, an dem die Hütte liegt nach Jahrzehnten des Nichtstuns im nächsten Jahr endlich ausgebaut. Grundstücksanteil dafür 2.500 Euronen = sagen wir mal 136.500 Euronen Summasumarum.
Und genau wegen dieser Summe brauche ich die Fernsehsendung „Mein Traum vom Haus“ Teil 1 und Teil 2. Wobei Teil 1, also das mit dem Makler und ein entsprechendes Haus finden, schon abgearbeitet wäre. Doch fürs Fernsehen würde ich mir proforma gern noch zwei andere Objekte im Umland ansehen, da wird sich sicher etwas finden. Letztlich würde ich mich dann vor laufenden Kameras für die Individualistenhütte entscheiden und mir die Tränen der frohen Erwartung aus den Augenwinkeln wischen.
In den Tagen danach kommt auch schon das Team von der Sendung Teil 2 „Traum oder Alptraum – die Sanierungsprofis“ und schaut sich mit wachsender Verzweiflung die Hütte näher an. Diesmal werden die Bilder des Grauens medial in Szene gesetzt: Das Dach nicht isoliert (Nahaufnahme der rohen Balkenkonsturktion mit nackten Dachpfannen durch deren Ritzen die Mittagssonne grelle Lichtsfetzen ins staubgeschwängerte Dämmerlicht des Speichers schießt). Die Holzfenster (Nahaufnahme der abblätternden Farbe auf von der Witterung geblichenem und von den Gezeiten geschundenem Holz). 360°-Umblick der Küche (Zoom auf die über Jahrzehnte ausgeblichenen Tapeten und zersprungenen Kacheln, auf altes Küchenmobiliar aus einem längst vergangenem Jahrhundert – Schubladen halb herausgezogen, eine Tür hängt schief in den Angeln – tropfender Wasserhahn…) Makrodigital wird jeder Fleck der alten Teppiche aufgearbeitet. Gestellt allerdings die Bilder von einem Teammitglied, wie es sich nur durch einen beherzten Sprung zur Seite vor dem Einbrechen in die vor Altersschwäche ächzenden und knarrenden Dielen im Flur retten kann. Holz splittert, Entsetzen auf jedem Gesicht. Letztlich würde ich mir vor laufenden Kameras die Tränen der Verzweiflung aus den Augenwinkeln wischen.
In den nächsten 14 Tagen (ich habe mir 1/3 meines Jahresurlaubs genommen) werden die Fernsehteamhandwerker der Hütte vor laufenden Kameras zu neuem Glanz verhelfen. Ich derweil hier und da zuschauertauglich meine Handwerkerseele und meinen guten Willen unter Beweis stelle, in dem ich so richtig zupacke. Hinter der Kamera dagegen führe ich mit dem Teamleiter und Moderator der Sendung eine hitzige Diskussion, warum ich um Nichts in der Welt diesen dusseligen 2-Wege-Hyper-Brennwert-Holzofen in dem Raum, der nicht mein Wohnzimmer werden soll, dulden werde. Am Ende wird die Kamera voll draufhalten, wenn ich zwischen Bergen von Schutt völlig down in der Zimmerecke kauere. Das Gesicht zwischen meinen auf den Knien verschränkten Armen vergraben… eine Hand zeichnet eine müde, abweisende Geste in die von Staub und Frust durchtränkte Luft. Im Fernsehen wird das dann so aussehen, als wenn ich mit meinen Kräften am Ende sei – erschöpft vom vielen Umbauen.
Tags drauf habe ich mich mit dem Moderator geeinigt: der Ofen kommt in minimierter Form in die aus Stein gemauerte Gartenhütte. Publikumswirksam werden sie ein Geheimnis daraus machen, dass sie dort eine Werkstatt für meine Specksteine und mich einrichten. Ich verspreche dem Moderator besonders laut zu jubeln, wenn sie mir später vor laufender Kamera die fertige Werkstatt präsentieren. An diesem Abend werden meine Hände vor Erschöpfung zittern, wenn ich versuche, Freunde und Familie anzurufen, um den großen Moment der „Übergabe“ der Traumhütte zu inszenieren. Bis es soweit ist, sind es aber noch einige Tage.
In diesen Tagen werde ich mich im Garten betätigen und jede Pflanze, die dort schon seit Urzeiten stand mit Harke und Spaten verteidigen, damit sie niemand vom Bauteam beim Streichen der Fenster zertrampelt. Kubikmeterweise werde ich frische Erde und Torf auf den Beeten verteilen und mit dem Rasenmäher vor mir und dem Kamerateam hinter mir dem Wildwuchs auf der Wiese zu Leibe rücken.
Dann der nächste große Zoff mit dem Teamleiter: er kapiert einfach nicht, dass ich mich mit Händen und Füßen gegen das doch so viel gepriesene Click-Laminat wehre. Ich hasse das Zeug zutiefst! Und erst als ich heulend in einer Ecke stehe, gibt der Teamleiter nach. Die alten Holzdielen werden abgeschliffen und versiegelt. In Küche und Bad wird Linoleum verlegt.
Mit der ortsansässigen Fleischerei hat der Fernsehsender ein Abkommen geschlossen: Der Fleischer liefert jeden Tag die Verpflegung für die Handwerker, im Gegenzug bekommt er mindestens 5 Einstellungen, in denen der kleine Lieferwagen samt Firmenaufschrift, Telefonnummer und Internetadresse zu sehen ist. Eine Einstellung ist besonders rührend: Man sieht wie sich das von den hungrigen Handwerkern so sehnsüchtig erwartete Gefährt durch knöcheltiefe Schlaglöcher wankend den Weg bahnt, fast steckenbleibt und nur dem beherzten Eingreifen der Handwerker ist zu verdanken, dass das Auto nicht von der Schotterstraße abkommt und in das Gartentor vom Nachbarn gegenüber rutscht.
Meiner Tochter ist das ganze Spektakel nur peinlich. Und nur in Begleitung ihrer Freundinnen schafft sie es, sich 2 Mal auf der Baustelle blicken zu lassen. In der ausgestrahlten Fernsehsendung werde ich später mit Entsetzen sehen, dass es ein 2. Kamerateam gab, das Mithilfe meiner Tochter alle Stationen ihres jungen Lebens ausfindig gemacht hat. Die 60 Sekunden andauernde Sequenz unter dem Motto „Warum Kinder keine Wurzeln schlagen können“ gibt mir noch Jahre später zu denken… sind es doch tatsächlich schon 5 Stationen, die mein Kind bis dato durchleben musste. Tja, und an der sechsten wird derzeit emsig gearbeitet. Auf die Frage, ob sich meine Tochter denn freuen würde, dass wir bald (wieder) umziehen werden, verdreht sie ihre Augen gen Himmel „Aber nur noch dies eine Mal!“ Dann sieht man, wie eine Tür zufällt, Großaufnahme auf das auf ihr prangende Poster „Zutritt nur für Vampire“. Schnitt.
Nach zwei Wochen ist der Spuk vorbei. Die feierliche Übergabe muss allerdings verschoben werden, weil es in Strömen gießt und der Wind einem die fetten Regentropfen nur so um die Ohren haut. Der Sender disponiert um, ich gehe wieder arbeiten. Währenddessen ein Umzugsteam die einwöchige Verzögerung zum Anlass nimmt, mein bescheidenes Hab und Gut in die Hütte zu schaffen. Das folgende Wochenende lässt die Sonne vom Frühlingshimmel strahlen und rückt die Szenerie in wunderschönes Licht. Der Sohn vom Fleischer hat mit dem Sender verhandelt und darf nun auch die Abschlussfeier ausrichten. Dazu hat er auch noch einen Vertrag für die nächsten 12 Sendungen in der Tasche. „Bundesweiter Catering-Service“ steht nun auf dem Lieferwagen und Telefonnummer und Internetadresse sind aus 100 Metern Entfernung ohne Fernglas zu erkennen.
Freunde und Familie eilen herbei, meine Tochter und ich werden aus dem Hotel abgeholt (wir hatten nur im Foyer auf den Carrierdienst vom Sender gewartet) Übergabe-Zeremonie. Ich freue mich wie Bolle, besonders über meine Werkstatt mit dem tollen Ofen. Letztlich wische ich mir die Tränen des Glücks und der Rührung aus den Augenwinkeln…
Ende
Das also ist meine Betavorstellung von der Hausfinanzierung. Frag sich nur welcher Sender das bringt. 2 Tage vor Weihnachten habe ich ja meinen Termin bei der Bank, um zu erfahren, ob die wenigstens den gleichen „Wieviel-Immobilie-kann-ich-mir-leisten?“-Rechner haben, wie die im Internet… um wenigstens den ersten Teil der Geschichte finanziell absichern zu können.